Männer von außerordentlicher Entschlußkraft und tiefstem Wissen. Vor dem Hintergrund, der in ihrem Wesen tatsächlich noch immer unverstandenen „Kabbala“, gingen sie „über den Jordan“, unternahmen ein Projekt, wir mögen es „die Moderne“ nennen, sie hingegen „das messianische Zeitalter“, das 1666 begann.
Wie sagte der einzige „Philosoph“, der dazu vielleicht etwas zu sagen gehabt hätte: „Ontologisch gesehen steht die Möglichkeit über der Wirklichkeit“. Und Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht (1).
Das bewußte Verstehen und „Anwenden“ solch mystischer „Technik“ mündete in die „Moderne“. Milliarden wurden darin zu Hörigen niemals vernommener Dämonen. Schon allein deshalb ist die Kabbala die mit Abstand größte geistige Leistung in der Geschichte der Menschheit (2).
Die grundsätzlichen kabbalistischen „Setzungen“, die sich bereits im bahir andeuten, um dann im sohar eine feste Gestalt zu gewinnen, nämlich die sephirot mit dem Lebensbaum und ihre mannigfaltigen „Verbindungen“, mögen zunächst künstlich und sehr gewollt erscheinen, sind jedoch seinsadäquat und gewinnen durch den Glauben eine ungeheure Macht und Lebendigkeit.
Im europäischen „Denken“ löst eine „Theorie“ nur die andere ab. Insofern ist es statisch und anorganisch. Das „Denken“ der Kabbala reifte hingegen organisch. Dadurch, daß Isaak Luria die Kabbala fortentwickelte, ja zu ihrer höchsten Vollendung, dem „Gedanken“ des tikkun führte, sind ja nicht plötzlich Maimonides oder der sohar in irgend einer Weise „falsch“.
So ist auch der Talmud vollkommen organisch gewachsen. Indem man an die Gesetzgebung gleichsam den Kommentar zum Kommentar des Kommentars „anhängte“, hat man die Einheit des Glaubens bewahrt, erhielt ihn zugleich „zeitgemäß“ und wehrte jede Zersplitterung ab.
Beim Christentum kann spätestens seit der Reformation kaum mehr von einem natürlichen Wachstum gesprochen werden. Spätestens mit Calvin werden vollkommen andersartige Inhalte zu Glaubenskonstrukten verbunden, die nur mehr abgeschnitten vom Glauben tatsächlich einen „Sinn machen“. Die moderne Theologie geht diesen Weg dann konsequent weiter. Ihre „Theorien“ besagen oft wenig über Jesus, aber dafür um so mehr über die Ansichten des jeweiligen Theologen.
Die einzigen Bereiche der Europäischen Kultur, die man bis ins 19.Jh. noch als organisch gewachsen bezeichnen konnte, sind die Malerei und die Musik. In der Musik ballt sich europäischer Geist, findet in Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner auch wieder einen ausgesprochen mystischen Ausdruck, der nie gekannte ästhetische Genüsse vermittelt, zugleich jedoch in diesem engen Bereich fest eingeschlossen bleibt.
(1) Der Beginn der Genesis ist esoterischer Text par excellance.
(2) Die „Erfindung“ der einzelnen Sprachen übertrifft dies natürlich bei weitem. Jene beruhen jedoch auf göttlicher Inspiration, während die späte Kabbala von etwas ganz anderem inspiriert wurde.