Im Käfigglück

Im Käfigglück

Schon früh betrat ich wohl jenes Feld, das eigentlich erst sehr viel später eine von mir kaum geahnte Breitenwirkung entfachte. Auch ging mit meinen Unterlagen zugleich so manche Einzelheit meiner ersten Jahre verloren. Ich werde aber bestimmt nie vergessen, was mich in meiner Arbeit von Anfang an so motivierte und unter welchen Umständen ich ursprünglich begann, über unsere Artgenossen, auch dieser Ausdruck ist falsch, sie sind ja nicht einmal die engsten Verwandten, ich nannte sie einfach „Brüder“, eben jene Primaten so eingehend zu forschen. Dem Verhalten von „Affen“, ein äußerst brutaler, verächtlicher Ausdruck, geprägt von einer Ignoranz, die aber in Wirklichkeit auf geistigem Kolonialismus beruht, und eben jenen Lebewesen, wir hatten sie viel zu lang und eigentlich vollkommen unberechtigt als sogenannte „Menschen“ bezeichnet, widmete ich also schon früh meine volle Aufmerksamkeit, arbeitete mit Hingabe und tiefer Sympathie, anstatt ihr Verhalten nur kalt zu berechnen, verglich sie aber stets rücksichtslos auf nahezu allen Gebieten, die mir überhaupt denkbar erschienen, – oft schrecklich tabuisierte Bereiche, – mit eben jenen Wesen, die bis zum entscheidenden Punkt in der Weltgeschichte, so überaus arrogant, in viel zu großer Zahl auf der Erde herumstolzierten, sich anmaßend und über alles erhebend, noch immer des aufrechten Ganges bedienten.

Wobei mir der Ausdruck „Vergleich“ schon immer sehr antiquiert, im Grunde diskriminierend erschien. War er nicht gänzlich erkünstelt, von eben jenem „geistigen Kolonialismus“ geprägt, der immer nur kontrollieren, ordnen, ja letztlich beherrschen will? Als einer der ersten betonte ich deshalb das Gemeinsame, uns alle doch so sehr Verbindende! Sehr früh schon habe ich dafür gekämpft, diese Trennungen aufzuheben. Doch stand ich am Anfang noch schrecklich allein, in einem schroffen Gegensatz zur überlebten Forschung; einer finsteren Wissenschaft, ja mächtigen Unterdrückungsmaschine, die eigentlich durch gar nichts gehemmt, nur immer wieder das Trennende hervorzuheben suchte. Inzwischen kennt die Welt jedoch die ungeschminkte Wahrheit! Es gibt nämlich gar keinen Unterschied! In Wirklichkeit spricht ganz im Gegenteil doch alles für die „Affen“! So fanden meine Mitarbeiter sehr früh schon Parameter, einerseits hormonelle Faktoren, andererseits sind es Ergebnisse umfangreicher Messungen verschiedenster Gehirnströme, die eindeutig besagen, daß Affen für das Erleben sehr viel größerer, auch intensiverer Glücksmomente so überaus befähigt sind. Sie kennen rein pathologisch auch gar keine Depression! Die Leiden des Gewissens, die Schrecken der Verantwortung, dieser bleierne Mühlstein menschlicher Drangsal und Pein, er bleibt ihnen völlig erspart. Sie kennen dafür noch natürlichen Spaß, leben in den Tag hinein, können ihre Triebe ohne Rücksicht auf „Sitten“, irgendwelche „Tradition“, ganz sinnentleerter „Normen“, wie längst überlebter „Formen“ doch vollkommen frei entfalten. Dafür sind sie so zu beneiden! Für mich gab es deshalb auch gar keine Wahl. Obwohl ich mein Handeln inzwischen beinahe schon etwas merkwürdig finde, entschloß ich mich damals recht frohen Herzens, jeden Abstand der Forschung ganz unmittelbar aufzugeben, die letzten Grenzen zwischen uns doch endgültig einzureißen!

In der frühen Anfangszeit, dies muß ich mit einer gewissen Scham nun allerdings gestehen, blieb der Kontakt zwischen uns noch ausgesprochen formal, ja viel zu oberflächlich. Doch langsam faßte ich Mut! So gab ich meinen Freunden, meinen Geliebten natürlich auch, allmählich persönliche Namen, nannte sie Mandy, mal Barbara, erfand auch bald schon Koseformen, habe mit der Zeit das eine oder andere Weibchen doch sehr genau „untersucht“. Und durch unsren täglichen Umgang änderte sich wohl auch mein Geschmack: Die ausgeprägten Wangenknochen, die vorgeschobene Mundpartie, – vermutlich eine Erinnerung an unsre gemeinsamen Ahnen, die irgendwann wohl ein „Fischmaul“ besaßen, – auch die stark aufgestülpten Lippen, die zu beiden Seiten so sehr eingebogene Stirn, begannen mir bald attraktiv zu erscheinen. Und gerade die starke Körperbehaarung regte meine Sinne an.

Ein Liebesverhältnis zu einer Gorillaschönheit, das ist schon etwas Besonderes, das man nur schwerlich beschreiben kann. Doch war es nicht wirklich ein Wunder? Dabei muß ich allerdings sagen, daß ich von Anfang an die hübschen Orangmädchen bei weitem doch bevorzugte. Natürlich war dies gesellschaftlich noch immer ganz schrecklich tabuisiert. Es sollten noch Jahre vergehen, bis hier endlich Toleranz und eine gewisse „Normalität“ einzog. Und eine Ehe zwischen uns war lange noch etwas ungewöhnlich, bei vielen sogar verpönt. In der Zwischenzeit jedoch wurde sehr viel unternommen, jene Institution nun allerdings vollkommen abzuschaffen. Die Ehe, sie paßt nicht in unsere Zeit! Und wurde sie nicht ganz ausschließlich aus Sicht des Menschen geschaffen, war den armen „Affen“ im Grunde doch wieder nur aufgezwungen? Wo sonst aber noch Reste jenes „geistigen Kolonialismus“ übrig geblieben, bekämpfte ich sie aufs entschiedenste.

Hinzu kommt noch etwas anderes, für mich allerdings ganz entscheidendes: Als geborener Idealist verschrieb ich mich schon sehr früh dem Kampf um eine bessere Welt, ja wollte doch nichts als den Frieden! Und lebten wir nicht in einer Zeit der unbedingten Veränderung? Inzwischen erkannte man deutlich die Ursachen der Kriege, all dieses Leids auf Erden, der Aufstände und Revolutionen, Massaker und Blutbäder, Bürgerkriege und Weltenbrände. Lag es nicht doch ganz ausschließlich an der menschlichen Freiheit? Und wo sprach sie sich wohl am deutlichsten aus? Zuallererst in der menschlichen Kunst! Wer darin einem Prometheus gleich sich selbst mit den Göttern mißt, so schrecklich „in Szene setzt“, am Ende gar in der Lage ist, ein „eigenes“ Bild von sich „selbst“ zu erschaffen, zieht der nicht auch viel zu leichtfertig, oft kriegerisch ins Feld? Ist der nicht auch bereit, für irgendeine „Idee“, jedem nur möglichen Trugbild, ja eingebildeten Wahn aufs schrecklichste zu kämpfen? Lag somit nicht auch der Grund für all jenes Böse, dem Abgrund menschlicher Schmach ausschließlich in seiner Intelligenz, der eingebildeten „Schaffenskraft“, der Wurzel und dem Grundübel, nämlich seinem Talent „vernunftgemäß“ zu denken?

Recht bald schon erhielt dieser Kampf um den Frieden sehr breite Unterstützung. Wir hatten unser Programm ja immer rein „praktisch“ aufgefaßt, uns kein geringeres Ziel gesetzt, als das natürliche Glück aller Menschen so weit wie nur möglich zu fördern. Aus sachlichen Erwägungen nannten wir sie nur mehr „Minuseinheiten“. So war unsere Arbeit im Grunde doch „angewandter Humanismus“. Das persönliche Glück einer jeden Einheit war uns dabei die absolute Richtschnur! Man muß die Dinge doch nüchtern betrachten. So lautete also Frage: Wie kann man jenes Glück so weit wie nur möglich befördern? Die Antwort kann doch nur lauten: Durch allgemeines Absenken der Intelligenz aller Minuseinheiten!

Soviel darf ich wohl auch verraten: In einem solchem Maße, wie wir es kaum zu erhoffen wagten, war jenem Programm ein ungeheurer Erfolg beschert! Zwar gab es hier und dort noch ungewollte „Ausrutscher“, zu hohe Intelligenzquotienten. Da mußten wir eben rasch handeln! So wurden wir regelrecht aktiv, sorgten rein praktisch dafür, daß man jenes Etwas, in jeder Minuseinheit, am besten schon im Mutterleib, so human wie nur möglich erlöst. Glücklicherweise gelang es mir früh, alle meine Mitarbeiter doch restlos davon zu überzeugen, auf eigene Kinder doch ganz zu verzichten. viel lieber adoptierten sie ein niedliches Affenkind, umsorgten es ganz liebevoll.

Hier ist aber nicht der Ort für sentimentale Regungen. So etwas bleibt höchstens noch Randbemerkung. Wo gehobelt wird, da fallen bekanntlich auch Späne! So zog ich also recht bald und hundertprozentig freiwillig zu ihnen in den Käfig. Mit Stolz kann ich wohl sagen: Noch niemals in der Geschichte wurde ein Käfig von innen erbaut! Und immer mehr Minuseinheiten folgten unserem Beispiel, sie zogen zu uns in den Käfig. Dies war wohl der entscheidende Teil unseres Programms, des Kampfes um eine friedliche Welt! So kommen wir zu dem Zeitpunkt, an dem ich nur mehr von „innen“, aus unserem Käfig berichten darf.

Und deshalb muß man die Dinge auch vollkommen illusionslos betrachten. Für allerhöchste Ideale erbringen wir gerne auch Opfer! Zunächst muß man ja das Grundübel, den aufrechten Gang bekämpfen! Wie viele taten sich dabei so schwer! Das Gehen auf allen Vieren, auf der Erde nur noch zu robben, wie Küchenschaben, Kakerlaken, auf ihr nur mehr herumzukriechen, erschien manchem nicht sehr erstrebenswert; am Ende sogar schmerzvoll, ja eine regelrechte Tortur. Und wer es nach einer Übergangszeit, wir waren darin stets sehr großzügig, noch immer nicht zu leisten vermochte, womöglich auch gar nicht wollte, ein renitenter Aufrechtgänger, für den haben wir noch stets eine humane Lösung gefunden.

Und trotzdem gab es noch welche, die wollten sich nicht ganz ausschließlich mit ihren Trieben befassen, waren absolut nicht bereit, von Augenblick zu Augenblick, nur für ihr Geschlecht zu leben, sich endlich nur als Eintagsfliege, als absoluten Zufall zu begreifen. Es gab sogar noch manche, die waren tatsächlich so unverschämt, bildeten sich ein, sie brauchten noch irgendeine, höchst geschwätzige „Identität“. Auch bei jenen schrecklich Verstockten den Geschmack endlich abzuändern, fiel uns im Grunde doch gar nicht so schwer! Waren wir doch um Einfälle eigentlich niemals verlegen, zogen die Glaceehandschuhe, die meist allerdings schon recht löchrig aussahen, mit großer Freude aus, griffen mit hämischem Grinsen in die alte Trickkiste höchst unorthodoxer Methoden.

Wir brachten sie ganz einfach dazu, sich jeden Tag, ja eigentlich ohne Unterlaß, Stunde für Stunde, nur noch unser Programm, ja unsere Filme anzuschauen, machten sie regelrecht süchtig danach. Wir hatten ja unser Programm stets so brutal wie nur möglich, zur reinen „Unterhaltung“ mit hübschen Affenweibchen, natürlich auch solchen Männchen rein pornographisch gestaltet. Die letzten Ressourcen, die wir noch hatten, haben wir dafür aufgebraucht. Denn schließlich geschah dies doch alles für ein so hohes Ideal, dem Kampf um eine friedliche Welt!

Und um das Ergebnis vorwegzunehmen, es war jenem Kampf um den Frieden der allerhöchste Erfolg vergönnt! Denn Kriege sind einfach unmöglich geworden. Es gibt ja gar keine Produktion, nicht die geringste Industrie, ja nicht einmal mehr Landwirtschaft. Die Herstellung von Metall für irgendwelche Waffen ist gänzlich zum Erliegen gekommen. In riesigen Naturparks, weitläufigen Schutzgebieten leben die kleinen Horden, bei ihren begrenzten Fähigkeiten doch eigentlich vollkommen frei. Man muß sich um sie keine Sorgen machen. Sie sind weiterhin doch sehr gut geschützt, in ihrem Bestand noch keineswegs bedroht.