Der Zauberladen

Zwar habe ich jenes Geschäft doch eigentlich niemals betreten. Und dennoch, schon seit Kindertagen oft stundenlang davor gestanden, auch später dort sehr viel geträumt, ließ den Gedanken freien Lauf; vergaß darüber nicht selten, ob es über mir regnet, die Sonne scheint, vielleicht sogar schneit. Mit großen Kinderaugen habe ich staunend den Messingknopf, der rund an der Eingangstür prangt, mehr als nur bewundert, ja beinahe schon verehrt, weil er für mich doch so golden erschien. Und dennoch wagte ich nie, weiß eigentlich gar nicht warum, ihn wirklich einmal anzufassen.

Für einen jedoch, der das Geschäft vielleicht nicht so gut kennt, macht es von außen, betrachtet er nur die Fassade, nun allerdings einen recht nüchternen Eindruck; im Grunde genommen, ich muß es gestehen, war sein Erscheinungsbild ziemlich banal. Bestanden seine Schaufenster doch nur aus zwei Vitrinen, die beide etwa gleich groß, beiderseits der Eingangstür sich meistens aber leer befanden. Nur manchmal lag wohl darin noch irgend ein alter Ladenhüter. Man hatte sie aber schon früh, weit vor meiner eigenen Zeit, mit einem feinen Stoff ausgelegt, der schwarz und wundervoll anschmiegsam sie ganz und gar auszufüllen erschien.

Das Ruhige und gleichsam Geordnete dieser beiden Glasvitrinen kontrastierte nun allerdings sehr mit dem schlechten Mauerwerk unter einem schadhaften Dach, die beide aber zusammengenommen den schäbigen Eindruck des Ladens bei weitem wohl dominierten. Doch war es die dunkle Eintönigkeit eben jener Vitrinen, die für mich etwas Edles, ja eigentlich Tröstendes ausstrahlte; sie hat auf mich stets sehr beruhigend gewirkt in all diesem Niedergang, der nicht nur jenes Geschäft so eigenartig erfaßte, ja von allen Seiten es regelrecht umklammert hielt. Und manchmal, da ließ mich der Eindruck nicht los, als ob nun gerade hier, in der Umgebung des Zauberladens, eben jener Verfall ganz besonders rasch geschieht, ja beinahe schon wie in Zeitraffer. Überall auf den Wegen hatte sich ja Staub gelegt. Er scheint allen Dingen anzuhaften. Ständig ist man versucht, ihn aus den Kleidern zu schütteln. Er läßt einen nicht mehr los. Die Luft schwirrt milchig von dem, was ständig von den Fassaden fällt, von den Dächern herunterweht. Selbst wenn man mit den Zähnen knirscht, spürt man ganz unwillkürlich den Staub.

Das eigentliche Zaubergeschäft blieb davon allerdings unberührt. Es gibt dort einen schmalen Bereich, der liegt über den Glasvitrinen, unter jenem Mauerwerk, an dem der Putz meist schon abgefallen. Von den übrigen Räumlichkeiten sind die Vitrinen ja durch eine Abdeckung sorgsam getrennt. Über ihrem schwarzen Stoff erstrahlte nun jene Öffnung, sie war von einem kostbaren, bläulich schimmernden Glas geschützt, nur eigentlich um so heller. Mit anderen Worten: Man konnte durch jenen Spalt zumindest einen scheuen Blick in das Ladeninnere, dem Allerintimsten werfen, von dem ganzen Geschehen, geheimnisvollen Treiben darin zumindest etwas erhaschen!

An breit gebauten Tresen, die sich zwar nicht ganz beweisen, mit einiger Wahrscheinlichkeit nun allerdings vermuten lassen; – auch die Verkäufer erkennt man nicht, sie sind nämlich durch das Mauerwerk ganz links und rechts verdeckt, – sieht man jedoch Köpfe, oberhalb der Glasvitrinen beständig sich bewegen. Sie schieben sich hin und her, als wären sie schrecklich nervös, von irgend etwas getrieben. Den Rest ihrer Leiber erkennt man nicht. Sie sind aber anscheinend doch alle so ziemlich gleich groß.

Sie wirken doch sehr gehetzt, scheinen etwas zu fürchten, ja sehen oft recht verängstigt aus. Allein warum, das weiß ich nicht. In all den Jahren jedoch, solange ich schon die Fassade des Zauberladens betrachte, habe ich durch die Vordertür eigentlich nie jemand kommen sehen, noch gelangte ein Mensch dort hinaus. So darf man wohl vermuten, es gibt noch eine andere Pforte.

Zwar weiß ich nicht, woran es liegt, kann es mir rein physikalisch tatsächlich auch nicht recht erklären; doch werden jene Köpfe von gewaltigen Scheinwerfern, die man wohl seitlich angebracht, daß man sie niemals erkennt, nun praktisch von allen Seiten, jedoch mit einem Effekt, der geradezu perspektivisch erscheint, so geschickt nämlich angestrahlt, daß es tatsächlich so wirkt, als seien jene Köpfe, und dies eigentlich die ganze Zeit, selbst wenn sie sich bewegen, wie von innen erleuchtet, ja strahlen aus sich heraus, sind eigentlich vollkommen transparent.

So schaut man in ihre Köpfe, ja durch sie hindurch wie in ein Aquarium. Es bilden sich zahlreiche Gegenstände, auch Wörter und Zahlen in klaren Umrissen darin ab. Natürlich dachte ich anfangs an eine typische Selbsttäuschung. Doch kam ich jeden Tag, und die Köpfe erschienen mir so, nein, eigentlich ganz im Gegenteil, wurden die Dinge in ihnen mit der Zeit doch nur klarer und klarer. Und langsam sah ich deutlich, was in den Köpfen geschieht: Am liebsten werfen die Köpfe den anderen Zahlen zu, die antworten wieder in Zahlen, so steht es genau in den Köpfen; dann sieht man vielleicht ein Gebäude, Hochhäuser oder Bauernhöfe, Bäume, auch einzelne Menschen, mitunter sind es sehr viele. Die können sie aber ganz leicht aus ihren Köpfen entnehmen, das geht nämlich ganz wunderbar, sie fliegen daraus hervor, ein anderer schnappt sie dann auf, doch nicht mit den Armen, die sieht man nie, nein, mit dem Mund allein und messerscharfen Zähnen. So schlingen sie alle Gegenstände in Windeseile hinab, dies stets aber als Miniatur, der eigenen Kopfgröße angepaßt. So fressen sie jedes Ding, ja weiden sich förmlich daran und schließen dabei ganz genüßlich die Augen. Und deshalb sieht man genau, was sie essen und wie sie es zerstören. Sie fressen im Grunde fast alles. Ihre Diät ist die ganze Welt.

Es könnte aber auch sein, es ist zumindest nicht auszuschließen, sie sind nämlich so schematisch und starr in ihren Bewegungen, daß man die Köpfe auf Steine gesteckt, riesigen Quadern, ihrem eigenen Grabstein gleich, den jemand nur hin und her bewegt. Egal, ob die Köpfe breit oder schmal, sie regen sich mitunter doch sehr, schaukeln abrupt hin und her, bewegen sich vor und zurück, nicken und wippen wie im Gebet. Diesen Takt im Hintergrund hält ein gewaltiger Zauberstab. Sein Name ist jedem bekannt. Und dennoch versuchen die Köpfe verzweifelt, mit aller Kraft, ja Gewalt, sich selbst von den Grabsteinen abzubrechen. Dann fallen sie auf den Boden, den sie selbst ja nicht sehen konnten. Zu groß war nämlich ihr Stein. Schon längst ist der Boden des Zauberladens mit ihren Köpfen bedeckt, über und über voll von ihnen.