Das Gelächter
Einst hatte ich etwas gesagt. War es nicht ein einziger, im Grunde recht einfacher Satz? Er wurde eiligst weitergereicht, befand sich in Windeseile auf dem Schreibtisch dieses Herrn Chutz.
Der Satz amüsierte ihn sehr. Und wie es seine Gewohnheit ist, las er ihn laut vor sich her, wiederholte ihn immer wieder, verfiel in ein solches Gelächter, daß es aus seinem Büro, aus riesigen Fenstern zu mir drang, überwand dabei fast jedes Hindernis, keine Wand, kein Fluß und erst recht kein Land hielten es noch auf.
So hatte ich bald das Gefühl, es käme von allen Seiten, von sämtlichen Rängen, fast überall erhebt sich dies überdrehte, hysterische Geschrei, so schrecklich aufgestachelt und systematisch vollgestopft mit wohl dosiertem Hohn. Chutz hatte es aber nur vorgespielt, geschwind seine Schallplatte aufgelegt, die allerdings auch lebt, aus Millionen von Stimmen besteht; der Eindruck jedoch überwältigte mich.
Nun hatte Chutz in Wahrheit das blanke Entsetzen gepackt. Schon der bloße Gedanke daran ließ ihn doch erschaudern, daß irgendwo auf dieser Welt ein einzelner Satz, der nirgendwo belobigt wird und allerdings auch keinen Preis gewann, so frank und frei umhergeht.
Rasch ließ er den Satz entschärfen, fast augenblicklich bearbeiten. Wort für Wort wurde sorgsam erfaßt, höchst pedantisch aufgenommen, akribisch voneinander getrennt, um ihn schließlich wieder, in einer ganz anderen Reihenfolge, nach einem künstlichen Schema, höchst raffiniert zusammenzusetzen. Im Bruchteil einer Sekunde läßt Chutz so etwas geschehen, im voraus dies alles berechnen. Nur kann er das niemals allein, hat zahllose Gehilfen, die Tag und Nacht für ihn schuften. Dies alles geschah aber wohlgemerkt gegen einen einzigen, von mir geschaffenen Satz.
So etwas, das leistet nur Chutz! Er meistert virtuos die schlimmste Übertreibung, noch die frechste Verdrehung gelingt ihm nonchalant. So hat er diese Methode längst schon zur Wissenschaft hochstilisiert, zur äußersten Gerechtigkeit, so austauschbar wie er selbst. Nur so gefällt es dem Publikum. Kennen sie doch seit Jahren schon kein anderes Programm.
Fremdes, menschliches Leid läßt Chutz sie nur noch zynisch und äußerst frivol betrachten, damit sie doch gar nicht bemerken, wie weit sie ihm als Resonanzfläche, ja letztlich als Lautsprecher dienen. Zusammen mit ihrem Gelächter, das automatisch, per Knopfdruck, doch schließlich durch alle erfolgt, von allen übermittelt wird, nimmt Chutz die Behandlungsart vor und wendet sie rücksichtslos an!
Auf keinen Fall jedoch sei irgend etwas ernst zu nehmen! Dieser eiserne Grundsatz, den keiner umzustoßen, noch irgendwie zu verändern vermag, bleibt seine wichtigste Waffe, und die hat allerdings Durchschlagskraft.
So wurde der Satz völlig umgekehrt: Das erste war das letzte, das zweite Wort soll das vorletzte sein, und so weiter und so fort. Dies funktionierte bei meinem Satz anscheinend wohl ganz hervorragend. Inzwischen weiß ich doch recht genau, es geht auch bei den übrigen, meist vorgeformten Sätzen, überhaupt jeder Formulierung, Aussage oder Frage, die man sich überhaupt vorstellen kann, nun eigentlich ganz wie von selbst, im Grunde genommen genauso.
So wurde der Satz an Käm weitergereicht, jener auf Chutz folgenden, nächst höheren Instanz. Käm steigerte noch das Gelächter, daß es mir bald in den Ohren schmerzt, hörte zugleich nicht mehr auf, meinen im Grunde recht harmlosen Satz, der ihm doch leider sehr aufgefallen, mit allergrößter Aufmerksamkeit nicht nur genau zu betrachten, nein, läßt ihn mit „Argumenten“ nun permanent überwachen: Hunderte von Kameras, und viele, kleine Lichtlein, alle auf meinen Satz fokussiert, sezieren ihn mit Worten, finden noch stets etwas Falsches daran.
Mit tiefen Sorgenfalten auf seiner so herrlich hohen Stirn faßt Käm nun endlich einen Beschluß. Er stuft meinen Satz als gefährlich, ja höchst beleidigend ein, ja selbst für seine eigene, höchst wichtige Person; entscheidet sich ganz instinktiv für eine Operation, die über das übliche Maß, dem normalen Umfang selbst chutzscher Behandlungsweise bei weitem noch hinausgeht. Blitzschnell beschließt deshalb Käm, daß jedes einzelne Wort, das ich doch irgendwann ausgesprochen, vielleicht einmal zu sagen gewagt, aus dieser Welt zu verbannen, für immer und ewig, ja bis an das Ende der Zeit, welches er niemals anerkennt, auszutilgen sei!
Mit jenem Prozeß meiner Auslöschung, und mag sie auch noch so schwierig, noch so niederträchtig sein, sei doch sogleich zu beginnen, sie dulde keinen Aufschub! Doch nur bei dem bloßen Gedanken, daß irgendwie eine Verzögerung den Zeitplan durcheinander bringt, womöglich ein einziges Wort überlebt, vielleicht nur ein winziger Buchstabe auf einem Zettelchen sich verklebt, und so vielleicht erhalten bleibt, erzittert Käm noch heute, er findet dann schlecht in den Schlaf.
Doch so bearbeitet Käm jedes Wort, läßt es entgültig schließen; doch wirklich jedes einzelne, vergißt keine Letter dabei! Er stellt den ersten Buchstaben ganz automatisch nach hinten, der zweite soll der vorletzte sein, und so weiter und so fort. Am Ende nimmt er den Buchstaben A, ersetzt ihn durch das Z, das B nun durch das Y, und mit dem nächsten Buchstaben verfährt er auf eine ganz ähnliche, nur umgekehrte Weise. Er steigert es bis zur Unendlichkeit, indem er all diese Möglichkeiten bis zur Unkenntlichkeit kombiniert. Und daraus mag nun der Eingeweihte den Sinn solcher Wörter erkennen.
So steigert Käm noch das Gelächter, läßt es ins Unermeßliche, ja Unerträgliche wachsen, daß man es sich nicht gehässiger, noch niederträchtiger vorstellen kann. Und deshalb weiß ich schon längst nicht mehr, auch sonst ahnt es wohl keiner, von aller Verfälschung ganz abgesehen, was ich da einmal gesagt.